Architekt Wilhelm Hartmann staunte nicht schlecht: 3,10 Meter tief hatte der Geselle der Firma Becker schon geschachtet. Aber wo war der Fundamentsockel der Kirche? Ab 1,20 Metern Tiefe hätte das Loch abgestützt werden müssen. Weitergraben war zu gefährlich.Feuchtigkeitsflecken im Kirchraum hatten es im Jahre 2005 ratsam erscheinen lassen, die Außenseite entlang der nordöstlichen Seitenwand auszuschachten und eine Isolierschicht aufzutragen. Doch nun standen Handwerker und Architektenteam, Denkmalpfleger und Presbyter Mitte September an der aufgegrabenen Fundamentmauer und rätselten um die Wette: Warum reichten hier die Ziegel so tief hinunter?
Hatte der frühere Baumeister das Fundament nach vorne hin abtreppen müssen, weil er am Hang baute? Aber dann hätte der Eingang zur Kirche ja quasi im ersten Stock liegen müssen. Außerdem verriet die unregelmäßige Lage der Feldbrandziegel, dass hier offensichtlich gegen das Erdreich gemauert worden war. Das Bodenniveau konnte in diesem Bereich also von Anfang an kaum tiefer gelegen haben als heute.
Verbarg sich hinter der Wand vielleicht ein unbekanntes Kellergewölbe? Die Bauakten im Archiv behaupteten allerdings: „Die Kirche ist nicht unterkellert.“ War sie es doch?
Bekannt ist: Die Kirche wurde 1684 nicht auf jungfräulichem Boden, sondern auf den Grundmauern eines älteren Bauernhauses errichtet. Gab es unter der Kirche noch ein vergessenes Untergeschoss des Vorgängergebäudes? Und was mochte sich darin befinden?
Versuch macht klug: Ein Loch wurde in die Mauer gestemmt. Doch hinter achtzig Zentimeter Ziegelwand stieß der Bohrer in den Lehm. Fehlanzeige.
Hatte man nur an der falschen Stelle sondiert? Aus technischen Gründen konnte in dem schmalen Graben nicht tiefer als bei 1,20 Meter angesetzt werden. Vielleicht war das nicht tief genug?
Eine zweite Testbohrung sollte für Klarheit sorgen. Diesmal fraß sich der Bosch-Hammer in die Kellerwand der Pfarrwohnung. Also ins gegenüberliegende, rechte Fundament der Kirche. Er landete schon nach dreißig Zentimetern im festen Erdreich. Also kein geheimes Gewölbe unter der Kirche?
Einige Gemeindeglieder erinnerten sich aber: 1965 waren Arbeiter beim Verlegen der Fußbodenheizung in einen Hohlraum unter der Kirche durchgebrochen. Also doch!
Im Nachhinein kamen Zweifel an der Platzierung des zweiten Bohr-Versuchs. Das Pfarrhaus ist nur teilweise unterkellert. Die beiden vorhandenen Gewölbe reichen nicht bis an die Vorderfront des Bauwerks. Doch nur im vorderen Gebäudeteil ging die Nordost-Mauer der Kirche so ungewöhnlich tief in die Erde hinunter. Vielleicht hatte man schlicht zu weit hinten gebohrt?
Möglich war natürlich auch, dass der vermutete Kirchenkeller nicht unmittelbar an den benachbarten Pfarrhauskeller grenzte. Auch die beiden Gewölbe unter der Pfarrwohnung liegen gut 1,75 Meter auseinander – so weit reicht kein handelsüblicher Bohrer.
Wer aber konnte Genaueres sagen über die Lage des geheimnisvollen Kirchenkellers? Vielleicht die Witwe des Pfarrers, in dessen Amtszeit die Fußbodenheizung verlegt worden war. Aus Riesweiler im Hunsrück die telefonische Auskunft von Renate Krumme: Das Loch im Fußboden der Kirche klaffte damals zwischen Altar und Sakristeitür. – Also im hinteren Bereich des Gebäudes!
Nun erinnerte sich auch Herr Becker, der Maurermeister: Bei Sanierungsarbeiten an der Rückfront der Kirche war er 1999 in Höhe der Erdoberfläche – etwa zwischen Altar und Sakristei– in einen Hohlraum von nicht feststellbarer Tiefe gestoßen. Er hatte das Loch seinerzeit wieder zugemauert. War Herr Becker vor sechs Jahren ahnungslos auf einen alten Fensterschacht des geheimnisvollen Kellers gestoßen?
Auf weitere Sondierungen musste verzichtet werden. Schon aus Kostengründen. Aber auch, um den Zeitplan der Kirchenrenovierung nicht zu gefährden. So wurde die nordöstliche Seitenwand der Kirche planmäßig bis auf 1,20 Meter Tiefe isoliert und der Graben wieder verfüllt. Als danach auch hier der marode Sockelputz unter dem Bosch-Hammer zerbröselte, gab es die nächste Überraschung: Eine schmale Öffnung kam zum Vorschein mit einer kleinen Rollschicht an der Oberseite, nach hinten eine schräg abfallende Rückwand, unterhalb Schutt. Und das Ganze nicht etwa dort, wo vorher die Außenwand in unergründliche Tiefen reichte, sondern am hinteren Teil der Außenmauer, wo schon bei 1,20 Metern augenscheinlich Schluss gewesen ist. Was sollte hier ein Kellerfenster?
Am 21. Oktober kam Post aus Riesweiler. Frau Krumme schickte ein Foto, wohl aus dem Jahre 1965. Darauf posieren drei ihrer Kinder in einem Kellergewölbe. Beigefügt der Hinweis: „… vielleicht hilft es Ihnen beim Nachforschen ein bisschen weiter.“
Ein kurzer Check erbrachte, dass die Aufnahme auf keinen Fall unter der Pfarrwohnung entstanden sein kann. Also muss das Foto unter dem Kirchraum gemacht worden sein. Oder in einem ganz anderen Gebäude – aber das ist unwahrscheinlich.
Also gibt es sogar ein Foto von dem geheimnisvollen Kellergewölbe unter der Kirche! War er möglicherweise älter als die Kirche selbst? Wo war ehedem sein Zugang? Wann wurde er verschlossen? Und warum? Was wurde darin aufbewahrt? Gab es im Inneren vielleicht noch einen unentdeckten Schatz?
Alte Gemäuer bergen Geheimnisse. Unsere Kirchhertener Kirche wollte ihr Geheimnis auch diesmal nicht völlig preisgeben.
Johannes Grashof