Alte Wandmalereien – Unter der Deckschicht

Spuren des Malers Daniel Greiner in der Kirchhertener Kirche

Bei Renovierungsarbeiten in der evangelischen Kirche zu Kirchherten kamen 1979 an der rechten Seite unter der Deckschicht Reste von zwei großflächigen Wandmalereien zum Vorschein. 2005 wurden sie ein weiteres Mal vorübergehend freigelegt. Allerdings waren sie inzwischen durch die wiederholte Entfernung des Anstrichs weit stärker in Mitleidenschaft gezogen worden.

Auf dem linken Bild oberhalb der Sakristeitür ist ein Mann in Frontalansicht dargestellt. Er trägt ein wallendes Gewand und einen wilden Vollbart. In der rechten Hand hält er eine brennende Fackel.

 

Rechts von diesem Bild befindet sich auf gleicher Höhe ein weiteres monumentales Gemälde. Es liegt eingebettet zwischen die beiden Holzpfeiler, die das Gewicht des Glockenturms abfangen. Abgebildet ist ein Mann im Linksprofil, der eine Schale mit Früchten trägt. Er hat langes, auf die Schultern fallendes Haar und ist mit grünen Weinlaub bekränzt.

 

 

Im Archiv der Kirchengemeinde findet sich ein Hinweis auf die Entstehung der Malereien. In einem Brief, datiert vom 25. Oktober 1977, erkundigte sich die Tochter des Künstlers, Helga Bersch geb. Greiner, ob die Wandgemälde noch unter dem Anstrich vorhanden seien. Nach eigenen Angaben war sie als Fünfzehnjährige ihrem Vater Daniel Greiner auf dem Gerüst zur Hand gegangen, als er mit selbstgefertigten Ölkreiden die Kirche ausmalte. Den Auftrag hatte Greiner vom damaligen Pfarrer Robert Dressing erhalten. Das war etwa in den Jahren 1923-25. Wer war dieser Mann, der in Kirchherten Farbspuren hinterließ? Geboren 1872 in Pforzheim, kam Daniel Greiner erst über Umwege zur Kunst. Zunächst studierte er in Gießen Philosophie und Theologie, promovierte über Immanuel Kant und wurde 1897 Pfarramtsanwärter in Schotten (Vogelsberg). Nach kurzer Amtszeit verließ er 1901 den kirchlichen Dienst, um in Paris und Berlin die Bildhauerei zu erlernen. Von Joseph Maria Olbrich, einem führenden Vertreter des Jugendstil, wurde Greiner 1903 nach Darmstadt in die Künstlerkolonie Mathildenhöhe geholt. 1906 gründete er in Jugenheim (Hessen) eine Werkstätte für Grabmalkunst, beschäftigte sich in der Folgezeit aber auch mit Malerei, schuf Graphiken, schrieb Gedichte. Zu seinen Großplastiken zählt der Friedensbrunnen in Jugenheim. Bis in die frühen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts malte Greiner mehrere evangelische Kirchen aus, aber auch die Gießener Universität. Zu seinen Hauptwerken zählt die Illustration der biblischen Geschichten in mehreren Holzschnitt-Zyklen (“Greiner-Bibel”), die ebenfalls in den frühen dreißiger Jahren entstand.

Daniel Greiner war auch politisch aktiv. Von 1922 bis 1928 gehörte er für die Sozialisten dem Hessischen Landtag an. Wegen seiner politischen Überzeugung wurden seine Arbeitsmöglichkeiten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten immer stärker eingeschränkt. Er starb, völlig verarmt, 1943 in Jugenheim.

Greiners Wandmalereien fielen größten Teils den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. In Kirchherten überstanden sie den Krieg unbeschädigt. Sie wurden aber nach 1956 mit Binderfarbe überstrichen. Lediglich in der evangelischen Kirche in Brombach (Lörrach) ist noch ein Wandgemälde von Daniel Greiner erhalten. Es zeigt die biblische Szene aus Johannes 4,1-42 (Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen).

Die Deutung der Malereien in der Kirchhertener Kirche ist schwierig, insbesondere die Suche nach biblischen Bezügen. Der Mann mit der Fackel könnte eine Darstellung des Propheten Elia sein, gemäß Sirach 48,1: “Und der Prophet Elia brach hervor wie ein Feuer, und sein Wort brannte wie eine Fackel.” Noch unsicherer ist eine Herleitung des Mannes mit dem Früchteteller. Vielleicht ist das Bild ein Reflex auf Passagen wie Psalm 104,13-16: Dank an Gott, der die Erde reich mit Früchten segnet.

Zwei weitere Bilder waren ursprünglich auf der gegenüberliegenden Wand zu sehen. Beide sind überstrichen und bisher noch nicht wieder freigelegt worden. Die Malereireste auf der rechten Seite wurden nach Vorbehandlung durch eine Restauratorin rückholbar überstrichen.